MEDIZIN­PRODUKTE

IN-VITRO-DIAGNOSTIKA

Artikel 78: Koordiniertes Bewertungsverfahren für klinische Prüfungen

(1) Für eine klinische Prüfung, die in mehreren Mitgliedstaaten durchgeführt werden soll, kann der Sponsor für die Zwecke des Artikels 70 einen einzigen Antrag über das in Artikel 73 genannte elektronische System einreichen, der nach Eingang elektronisch an alle Mitgliedstaaten übermittelt wird, in denen die klinische Prüfung durchgeführt werden soll.

(2) Der Sponsor schlägt in dem einzigen Antrag gemäß Absatz 1 vor, dass einer der Mitgliedstaaten, in denen die klinische Prüfung durchgeführt werden soll, als koordinierender Mitgliedstaat handelt. Die Mitgliedstaaten, in denen die klinische Prüfung durchgeführt werden soll, einigen sich innerhalb von sechs Tagen nach Übermittlung des Antrags darauf, wer von ihnen die Rolle des koordinierenden Mitgliedstaats übernimmt. Einigen sie sich nicht auf einen koordinierenden Mitgliedstaat, so übernimmt der vom Sponsor vorgeschlagene koordinierende Mitgliedstaat diese Rolle.

(3) Unter der Leitung des koordinierenden Mitgliedstaats gemäß Absatz 2 koordinieren die betroffenen Mitgliedstaaten ihre Bewertung des Antrags, insbesondere der Unterlagen gemäß Anhang XV Kapitel II.

Die Vollständigkeit der Unterlagen gemäß Anhang XV Kapitel II Abschnitte 1.13, 3.1.3, 4.2, 4.3 und 4.4 wird jedoch von jedem betroffenen Mitgliedstaat gemäß Artikel 70 Absätze 1 bis 5 separat bewertet.

(4) In Bezug auf andere als die in Absatz 3 UnterAbsatz 2 genannte Unterlagen muss der koordinierende Mitgliedstaat

a) dem Sponsor innerhalb von sechs Tagen nach Eingang des einzigen Antrags mitteilen, dass er die Rolle des koordinierenden Mitgliedstaats wahrnimmt („Notifizierungsdatum“),

b) für die Zwecke der Validierung des Antrags alle Anmerkungen berücksichtigen, die innerhalb von sieben Tagen ab dem Notifizierungsdatum von den betroffenen Mitgliedstaaten übermittelt werden,

c) innerhalb von zehn Tagen ab dem Notifizierungsdatum bewerten, ob die klinische Prüfung in den Geltungsbereich dieser Verordnung fällt und ob der Antrag vollständig ist, und dies dem Sponsor mitteilen. In Bezug auf diese Bewertung gilt Artikel 70 Absätze 1 und 3 bis 5 für den koordinierenden Mitgliedstaat,

d) die Ergebnisse seiner Bewertung im Entwurf eines Bewertungsberichts festhalten, der den betroffenen Mitgliedstaaten innerhalb von 26 Tagen nach dem Validierungsdatum übermittelt wird. Bis zum 38. Tag nach dem Validierungsdatum übermitteln die anderen betroffenen Mitgliedstaaten ihre Anmerkungen und Vorschläge zu dem Entwurf des Bewertungsberichts und dem zugrunde liegenden Antrag dem koordinierenden Mitgliedstaat, der diese Anmerkungen und Vorschläge bei der Fertigstellung des abschließenden Bewertungsberichts gebührend berücksichtigt, der dem Sponsor und den anderen betroffenen Mitgliedstaaten innerhalb von 45 Tagen nach dem Validierungsdatum übermittelt wird.

Der abschließende Bewertungsbericht wird von allen betroffenen Mitgliedstaaten bei ihrer Entscheidung über den Antrag des Sponsors gemäß Artikel 70 Absatz 7 berücksichtigt.

(5) Was die Bewertung der Unterlagen gemäß Absatz 3 UnterAbsatz 2 angeht, kann jeder betroffene Mitgliedstaat einmalig zusätzliche Informationen vonseiten des Sponsors anfordern. Der Sponsor übermittelt die angeforderten zusätzlichen Informationen innerhalb der vom betroffenen Mitgliedstaat gesetzten Frist, die zwölf Tage ab dem Eingang des Informationsersuchens nicht überschreiten darf. Der Ablauf der letzten Frist gemäß Absatz 4 Buchstabe d ist vom Tag der Anforderung bis zum Eingang der zusätzlichen Informationen ausgesetzt.

(6) Für Produkte der Klasse IIb und der Klasse III kann der koordinierende Mitgliedstaat die in Absatz 4 genannten Fristen auch um weitere 50 Tage verlängern, um eine Beratung mit Sachverständigen zu ermöglichen.

(7) Die Kommission kann im Wege von Durchführungsrechtsakten Verfahren und Fristen für koordinierte Bewertungen näher spezifizieren, die von den betroffenen Mitgliedstaaten bei ihrer Entscheidung über den Antrag des Sponsors zu berücksichtigen sind. Mit diesen Durchführungsrechtsakten können auch die Verfahren und Fristen für eine koordinierte Bewertung im Falle wesentlicher Änderungen gemäß Absatz 12, im Falle der Meldung von unerwünschten Ereignissen gemäß Artikel 80 Absatz 4 und im Falle klinischer Prüfungen von Kombinationen von Medizinprodukten und Arzneimitteln, wenn Letztere einer parallelen koordinierten Bewertung einer klinischen Prüfung gemäß der Verordnung (EU) Nr. 536/2014 unterliegen, festgelegt werden. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 114 Absatz 3 genannten Prüfverfahren erlassen.

(8) Ist der koordinierende Mitgliedstaat in Bezug auf den Bereich der koordinierten Bewertung zu dem Schluss gelangt, dass die Durchführung der klinischen Prüfung vertretbar oder unter bestimmten Auflagen vertretbar ist, so gilt diese Schlussfolgerung als die Schlussfolgerung aller betroffenen Mitgliedstaaten.

Ungeachtet des Unterabsatzes 1 darf ein betroffener Mitgliedstaat die Schlussfolgerung des koordinierenden Mitgliedstaats in Bezug auf den Bereich der koordinierten Bewertung nur aus folgenden Gründen ablehnen:

a) wenn er der Auffassung ist, dass eine Teilnahme an der klinischen Prüfung dazu führen würde, dass ein Prüfungsteilnehmer in diesem betroffenen Mitgliedstaat eine schlechtere Behandlung als gemäß normaler klinischer Praxis erhalten würde;

b) Verstoß gegen nationale Rechtsvorschriften oder

c) Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der Prüfungsteilnehmer sowie der Zuverlässigkeit und Belastbarkeit der gemäß Absatz 4 Buchstabe d übermittelten Daten.

Lehnt einer der betroffenen Mitgliedstaaten die Schlussfolgerung gemäß UnterAbsatz 2 des vorliegenden Absatzes ab, so übermittelt er der Kommission, sämtlichen anderen betroffenen Mitgliedstaaten und dem Sponsor über das in Artikel 73 genannte elektronische System seine Ablehnung zusammen mit einer detaillierten Begründung.

(9) Ist der koordinierende Mitgliedstaat in Bezug auf den Bereich der koordinierten Bewertung zu dem Schluss gekommen, dass die klinische Prüfung nicht vertretbar ist, so gilt diese Schlussfolgerung als die Schlussfolgerung aller betroffenen Mitgliedstaaten.

(10) Ein betroffener Mitgliedstaat verweigert die Genehmigung einer klinischen Prüfung, wenn er aus einem der in Absatz 8 UnterAbsatz 2 genannten Gründe die Schlussfolgerung des koordinierenden Mitgliedstaats ablehnt oder wenn er in hinreichend begründeten Fällen zu dem Schluss gelangt, dass die in Anhang XV Kapitel II Abschnitte 1.13, 3.1.3, 4.2, 4.3 und 4.4 behandelten Aspekte nicht eingehalten werden oder wenn eine Ethik-Kommission eine ablehnende Stellungnahme in Bezug auf diese klinische Prüfung abgegeben hat, die nach dem nationalen Recht des betroffenen Mitgliedstaats für dessen gesamtes Hoheitsgebiet gültig ist. Dieser Mitgliedstaat sieht im Hinblick auf eine solche Verweigerung ein Rechtsmittelverfahren vor.

(11) Jeder betroffene Mitgliedstaat teilt dem Sponsor über das in Artikel 73 genannte elektronische System mit, ob er die klinische Prüfung genehmigt, unter Auflagen genehmigt oder die Genehmigung abgelehnt worden ist. Die Notifizierung erfolgt im Wege einer einzigen Entscheidung innerhalb von fünf Tagen nach der in Absatz 4 Buchstabe d vorgesehenen Übermittlung des abschließenden Bewertungsberichts durch den koordinierenden Mitgliedstaat. Ist die Genehmigung einer klinischen Prüfung Auflagen unterworfen, so dürfen dies nur Auflagen sein, die ihrer Art wegen zum Zeitpunkt der Genehmigung nicht erfüllt werden können.

(12) Etwaige wesentliche Änderungen im Sinne des Artikels 75 werden den betroffenen Mitgliedstaaten über das in Artikel 73 genannte elektronische System mitgeteilt. Die Bewertung, ob Gründe für eine Ablehnung gemäß Absatz 8 UnterAbsatz 2 vorliegen, erfolgt unter der Leitung des koordinierenden Mitgliedstaats, mit Ausnahme wesentlicher Änderungen bezüglich Anhang XV Kapitel II Abschnitte 1.13, 3.1.3, 4.2, 4.3 und 4.4, die von jedem betroffenen Mitgliedstaat separat bewertet werden.

(13) Die Kommission unterstützt den koordinierenden Mitgliedstaat bei der Erfüllung seiner Aufgaben gemäß diesem Kapitel mit Verwaltungsdiensten.

(14) Das Verfahren gemäß dem vorliegenden Artikel wird bis zum 25. Mai 2027 nur von denjenigen betroffenen Mitgliedstaaten angewandt, die sich dem Verfahren angeschlossen haben. Ab dem 26. Mai 2027 sind alle Mitgliedstaaten zur Anwendung dieses Verfahrens verpflichtet.

Stand: 13. März 2023